„Wohin auch immer wir reisen, wir suchen, wovon wir träumten und finden doch stets nur uns selbst.“
G. Kunert
Wir schrieben Januar 2007 und unsere Reisegruppe stand nach der Rückkehr aus der Antarktis im chilenischen Patagonien vor den Zinnen des Torres del Paine Massifs, was aus der Sprache der patagonischen Tehuelche-Indianer stammt und so viel heißt wie ‚Türme des blauen Himmels’. Dabei handelt es sich um ganz außergewöhnliche Granitberge, die zwischen 2600 und 2850 m hoch sind.
Jeder weiß, dass die Gipfel dieser Welt - und insbesondere wenn es berühmte sind - sich gerne kapriziös geben. Auch diese Felsen in den patagonischen Kordilleren machen da keine Ausnahme, zeigen sie sich doch ganz entgegen des ihnen gegebenen Namens vorzugsweise wolkenverhüllt und verbergen sich so vor dem gespannten Betrachter. Uns widerfuhr es damals ebenso, denn als wir wieder in den wartenden Bus getrieben wurden lag der graue Schleier unverändert bis tief an den Fuß der Wipfel. Während wir also weiterzogen wartete der deutsche Fotografenkollege immer noch in seinem Toyota Pickup Camper. Er hatte Camera und Stativ aufgebaut und harrte geduldig dem Moment, wo sich die Torres in ihrer ganzen Pracht zeigten.
Ich war fasziniert von diesem Ansatz. Es war der genaue Gegenentwurf zu meinem damaligen Leben als Geschäftsführer, das von langen Arbeitstagen geprägt war, in dem ich Entscheidungen im Minutentakt traf ohne auch nur die Möglichkeit zu haben, mich vorher intensiv mit dem jeweiligen Thema auseinanderzusetzen. Ich war es gewohnt, mir ambitionierte Ziele zu setzen und dann mit Macht dafür zu sorgen, das Gewünschte auch zu erreichen. Und einmal erreicht: ab zum nächsten Ziel.
Hier war jemand, der mir zeigte, wie es auch gehen kann. Jemand, der die Geduld aufbrachte und sich Zeit nahm, damit sich die Dinge ganz natürlich genau so einstellten, wie er sie gerne hätte. Der aber auch offen war und den Dingen Zeit und Raum gab, damit sie sich in einer vielleicht ganz unerwarteten Schönheit entwickeln und entfalten und auch in ihm selbst widerklingen konnten. War das nicht der wirkliche Luxus im Leben? Zeit. Geduld. Achtsamkeit für die Schönheit, die uns umgibt. Den Moment zu leben, ohne etwas ändern oder erreichen zu wollen. War das nicht das wahre Glück?
Von dieser Begegnung blieb eine tiefe Sehnsucht in mir nach einem anderen, einem bewussteren Leben. Eine Sehnsucht danach, offen zu sein für die großen und kleinen Wunder, die uns umgeben. Ich wollte reisen, andere Kulturen kennenlernen und all die mystischen Orte besuchen, deren Bilder teilweise seit meiner Kindheit in allen Ecken meines Unterbewusstseins wohnen.
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Es sollte jedoch noch viele Jahre dauern und unter wesentlich unglücklicheren Umständen sein, dass ich wieder an diesen Moment in Patagonien zurückdachte und mir klar wurde, wie richtig die damaligen Überlegungen waren.
Der sehr plötzliche Tod eines lieben Freundes Anfang 2015 drängte in mein Bewusstsein, dass die von mir viel zu lange als selbstverständlich erachtet Prämisse von andauernder Kraft und Gesundheit eine gefährliche Verleugnung war. Mir wurde bewusst, dass dies der Moment war, meinem Leben eine neue Richtung zu geben, und ich keine Zeit zu verlieren hatte. Also beendete ich meine bisherige berufliche Tätigkeit als Direktor bei einem großen Luxusunter-nehmen und machte mich als Fotograf selbständig.
Meine Spezialisierung ist die Landschaftsfotografie. Sie erlaubt mir, meine Leidenschaft des Reisens in außergewöhnliche Landschaften zu leben und dabei das Wunder einer möglichst unberührten Natur zu erfahren. Es fasziniert mich immer wieder, die Wirkung des Lichts zu beobachten, wie es mit seinem Erscheinen oder Vergehen die Landschaft formt, gewisse Aspekte heraushebt, andere zurücktreten lässt und die Farben moduliert.
Ich reise oftmals allein, einzig meiner Intuition folgend, im Vertrauen darauf, dass Gott mir meinen Weg weisen wird (ersetzt Gott durch das Schicksal, das Universum, Allah oder Buddha, wenn Ihnen das näher ist). Ganz besonders gern bin ich in den an Menschen armen hohen und tiefen Breiten unterwegs. Nicht nur ist das Licht hier spektakulärer als in den sonnenverwöhnter-en Gebieten unserer Erde. Die Natur ist dort in vielen Bereichen noch ursprünglich und wenig von Menschenhand beeinflusst. Ich bin stets aufs Neue gefangen von der Weite, die die oft baumlose und karge Landschaft mir öffnet und mich dabei ganz klein erscheinen lässt. In diesen ganz und gar außergewöhnlichen Momenten spüre ich die Mühen nicht, die es bedurfte, um zur Zeit des besten Lichts an genau diesem Standort zu sein. Dann spüre ich das Leben, fühle wie immens diese Welt ist und bin vollkommen erfüllt von Glück.
Gute Fotografien sind für mich eingefangene Emotionen. Sie sind wie ein Speicher, der sich bei späterem Betrachten öffnet und die Empfindungen freigibt, die im Moment des Entstehens in ihn hineingeflossen sind. Wenn ich meine Arbeit gut gemacht habe dann finden Sie diese Emotionen in meinen Fotos, erfahren so einen Moment meines Erlebens, reisen aber auch ein wenig in sich selbst.
Das bringt mich zum Abschluss zu Hermann Hesses Meisterwerk „Siddhartha“, eines der Bücher, das ich auch in Zeiten von Kindle und iBooks niemals aus meinem Bücherregal entfernen würde. Er lässt seinen Helden Siddhartha auf der Suche nach Erleuchtung sein Elternhaus verlassen und ein Leben lang durch Indien reisen, überzeugt, man könne nicht durch Lehre ein Buddha werden, sondern müsse dieses Ziel mittels selbst gemachter Erfahrungen erreichen.
Reisen und Erfahren: „...wir suchen, wovon wir träumten, und finden doch stets (nur) uns selbst“.
Wir schrieben Januar 2007 und unsere Reisegruppe stand nach der Rückkehr aus der Antarktis im chilenischen Patagonien vor den Zinnen der Torres del Paine, was aus der Spreche der patagonischen Indianer stammt und so viel heißt wie ‚Türme des blauen Himmels’. Dabei handelt es sich um drei Granitberge, die zwischen 2600 und 2850 m hoch sind.
Wer wie Artur Stanisz zur rechten Zeit am rechten Ort ist, kann das Panorama so erleben und mit Geschick, Leidenschaft und Geduld auch fotografieren:
Jeder weiß, dass die Gipfel dieser Welt – und insbesondere wenn es berühmte sind – sich gerne kapriziös geben. Auch diese drei Nadeln in den patagonischen Kordilleren machen da keine Ausnahme, zeigen sie sich doch ganz entgegen des Ihnen gegebenen Namens vorzugsweise wolkenverhüllt und verbergen sich so vor dem gespannten Betrachter. Uns widerfuhr es damals ebenso, denn als wir wieder in den wartenden Bus getrieben wurden lag der graue Schleier unverändert bis tief an den Fuß der Wipfel. Während wir also weiterzogen wartete der deutsche Fotografenkollege immer noch in seinem Toyota Pickup Camper. Er hatte Camera und Stativ aufgebaut und harrte geduldig dem Moment, wo sich die Torres in ihrer ganzen Pracht zeigten.
Ich war fasziniert von diesem Ansatz. Es war der genaue Gegenentwurf zu meinem damaligen Leben als Geschäftsführer, das von 14-16 Stunden Arbeitstagen geprägt war, in dem ich Entscheidungen im Minutentakt traf ohne auch nur die Möglichkeit zu haben, mich vorher intensiv mit dem jeweiligen Thema auseinanderzusetzen. Ich war es gewohnt, mir ambitionierte Ziele zu setzen und dann mit Macht dafür zu sorgen, das Gewünschte auch zu erreichen. Und einmal erreicht: ab zum nächsten Ziel.
Hier war jemand, der mir zeigte, wie es auch gehen kann. Jemand, der die Geduld aufbrachte und sich Zeit nahm, damit sich die Dinge ganz natürlich genau so einstellten, wie er sie gerne hätte. Der aber auch offen wahr und den Dingen Zeit und Raum gab, damit sie sich in einer vielleicht ganz unerwarteten Schönheit entwickeln und entfalten und auch in ihm selbst widerklingen konnten. War das nicht der wirkliche Luxus im Leben? Zeit. Geduld. Achtsamkeit für die Schönheit, die uns umgibt. Den Moment zu leben, ohne etwas ändern oder erreichen zu wollen. War das nicht das wahre Glück?
Von dieser Begegnung blieb eine tiefe Sehnsucht in mir nach einem anderen, einem entschleunigten Leben. Eine Sehnsucht danach, die großen und kleinen Wunder sehen zu können, die uns umgeben statt mich in dem Rattenrennen um Geld, Ruhm und Ehre aufzureiben. Es sollte jedoch noch viele Jahre dauern und unter wesentlich unglücklicheren Umständen sein, dass ich wieder an diesen Moment in Patagonien zurückdachte und mir klar wurde, wie richtig die damaligen Überlegungen waren.